Die katholische Kirche spielte in der Zeit des Nationalsozialismus und des Faschismus eine komplexe Rolle, die von Anpassung und diplomatischen Verhandlungen bis hin zu punktuellem Widerstand reichte. Eine besondere Bedeutung kommt dem Abschluss des Reichskonkordats sowie der politischen Verstrickung zwischen Papst Pius XI., Benito Mussolini und Adolf Hitler zu, die in der Errichtung des Vatikans als eigenständigem Staat gipfelten. Dieser Artikel beleuchtet, wie die Kirche in diese politischen Entwicklungen eingebunden war und welche Konsequenzen sich daraus ergaben.
1. Die katholische Kirche vor 1933: Das Lateranabkommen und der Vatikan als Staat
Der Kontext des Lateranabkommens (1929)
Bevor Hitler 1933 die Macht in Deutschland übernahm, hatte die katholische Kirche bereits wesentliche Weichenstellungen im politischen Europa vorgenommen. Eine der wichtigsten Entwicklungen war das Lateranabkommen von 1929 zwischen Papst Pius XI. und Benito Mussolini, dem faschistischen Diktator Italiens. Mit diesem Abkommen wurde der Vatikanstaat als souveräner Staat anerkannt, was der katholischen Kirche sowohl symbolische als auch praktische Unabhängigkeit verschaffte.
• Kompromisse der Kirche: Im Gegenzug erklärte sich die katholische Kirche bereit, den italienischen Faschismus nicht aktiv zu bekämpfen. Die Kirche erhielt finanzielle Entschädigungen für frühere Enteignungen und konnte ihren Einfluss auf das Bildungswesen in Italien ausbauen.
• Mussolinis Motivation: Für Mussolini war das Abkommen ein strategischer Coup, der ihm die Unterstützung vieler katholischer Italiener sicherte und seine Herrschaft stabilisierte.
Auswirkungen des Lateranabkommens
Das Lateranabkommen legte den Grundstein für eine diplomatische Tradition, bei der die katholische Kirche mit autoritären Regimen verhandelte, um ihre institutionellen Interessen zu wahren. Diese Haltung sollte sich auch in der Zusammenarbeit mit dem NS-Regime in Deutschland niederschlagen.
2. Das Reichskonkordat (1933): Hitler und die Kirche
Kurz nach Hitlers Machtübernahme verhandelte der Vatikan unter Papst Pius XI. das Reichskonkordat mit dem Deutschen Reich. Dieses Abkommen, das 1933 unterzeichnet wurde, regelte die Rechte der katholischen Kirche in Deutschland, darunter:
• Die Garantie der freien Religionsausübung.
• Der Fortbestand katholischer Schulen und Organisationen.
• Der Schutz von Priestern vor politischer Verfolgung.
Hitlers Motivation
Für Hitler war das Konkordat ein Propagandainstrument. Es verschaffte dem NS-Regime internationale Anerkennung und suggerierte eine gewisse Legitimität durch die Zusammenarbeit mit dem Vatikan. Obwohl Hitler nie die Absicht hatte, sich dauerhaft an die Vereinbarungen zu halten, nutzte er das Abkommen, um die katholische Kirche politisch zu neutralisieren und die Zentrumspartei – eine der letzten demokratischen Kräfte in Deutschland – zur Selbstauflösung zu drängen.
Kirchliche Perspektive
Der Vatikan sah das Konkordat als Möglichkeit, die Rechte der katholischen Kirche in einem zunehmend repressiven Regime zu sichern. Gleichzeitig wurde die Kirche damit aber auch zum stillen Beobachter der nationalsozialistischen Verbrechen, da sie sich durch das Abkommen zur politischen Neutralität verpflichtet hatte.
3. Die katholische Kirche während des Zweiten Weltkriegs: Anpassung und Widerstand
Schweigen zu den Verbrechen des NS-Regimes
Das Reichskonkordat hatte weitreichende Folgen für die Haltung der katholischen Kirche während des Krieges. Der Vatikan schwieg zu den Gräueltaten des NS-Regimes, darunter dem Holocaust, und vermied öffentliche Verurteilungen. Papst Pius XII., der 1939 das Pontifikat übernahm, setzte diese Linie fort. Sein Schweigen wurde später heftig kritisiert, insbesondere angesichts des Wissens, das der Vatikan über die systematische Vernichtung der Juden hatte.
Einzelne Akte des Widerstands
Trotz der passiven Haltung der Kirchenführung gab es mutige Einzelpersonen und Organisationen, die Widerstand leisteten, darunter:
• Clemens August Graf von Galen, der die „Euthanasie“-Morde öffentlich anprangerte.
• Katholische Hilfswerke, die Juden und anderen Verfolgten halfen, etwa durch die Ausstellung gefälschter Taufurkunden.
4. Die „Rattenlinie“ und die Nachkriegszeit: Fluchthilfe für NS-Kriegsverbrecher
Die Fluchtrouten für Nationalsozialisten
Nach dem Krieg wurde der Vatikan für seine Rolle bei der Organisation der sogenannten „Rattenlinie“ kritisiert. Diese Fluchtrouten ermöglichten es hochrangigen NS-Kriegsverbrechern, sich vor der Strafverfolgung zu retten und ins Ausland zu fliehen, insbesondere nach Südamerika.
• Beteiligung des Klerus: Geistliche wie Bischof Alois Hudal spielten eine Schlüsselrolle, indem sie Kriegsverbrechern wie Adolf Eichmann und Josef Mengele gefälschte Dokumente und sichere Reisewege bereitstellten.
• Rechtfertigung durch den Vatikan: Die Kirche argumentierte, dass sie humanitäre Hilfe leiste und keine politische Agenda verfolge. Kritiker sehen jedoch darin eine indirekte Unterstützung für die Flucht von Kriegsverbrechern.
5. Die späte Aufarbeitung
Der Vatikan und die NS-Zeit
Erst in den 1990er Jahren begann der Vatikan, seine Rolle während des Zweiten Weltkriegs und in der Nachkriegszeit kritisch zu hinterfragen. Studien und Archivöffnungen haben die Verstrickungen der Kirche mit den Regimen Mussolinis und Hitlers weiter beleuchtet.
Die Ambivalenz des Vatikanstaates
Die Entstehung des Vatikans als souveräner Staat durch das Lateranabkommen hat der katholischen Kirche Unabhängigkeit verschafft, sie aber auch in moralische und politische Kompromisse verstrickt. Diese duale Rolle – als spirituelle Autorität und politischer Akteur – bleibt bis heute eine Herausforderung.
6. Fazit: Verantwortung und Konsequenzen
Die katholische Kirche war in der Zeit des Nationalsozialismus und des Faschismus tief in die politischen Entwicklungen eingebunden. Abkommen wie das Lateranabkommen und das Reichskonkordat zeigen, wie die Kirche versuchte, ihre institutionellen Interessen zu wahren, gleichzeitig aber moralische Kompromisse einging. Die Hilfe für Kriegsverbrecher über die Rattenlinie wirft bis heute dunkle Schatten auf die Nachkriegszeit.
Diese Geschichte mahnt, dass die Kirche – als moralische Instanz – stets wachsam gegenüber autoritären Regimen und menschenverachtenden Ideologien bleiben muss. Ihr Einsatz für universelle Werte wie Gerechtigkeit und Menschlichkeit sollte über politische Opportunität hinausgehen – damals wie heute.