Heinrich Ludwig Albrecht Meyer war eine kontroverse Persönlichkeit, die stark von ihrer Vergangenheit als überzeugter Nationalsozialist geprägt war. Seine Rückkehr in den kirchlichen Dienst und seine Tätigkeit als Pastor in Borken-Gemen zeigen sowohl die Schwierigkeiten der Nachkriegszeit, mit belasteten Biografien umzugehen, als auch die Ambivalenz seiner Persönlichkeit.
1. Frühes Leben und NS-Aktivitäten
Heinrich Meyer wuchs als Sohn eines Dorfpfarrers in Ostfriesland auf. Seine theologische Ausbildung und frühe Berufserfahrung waren von einer zunehmend völkischen und antisemitischen Weltanschauung geprägt. Mit seinem Eintritt in die NSDAP 1928 begann seine Karriere als politischer Aktivist innerhalb der Kirche. Als Mitbegründer der Deutschen Christen setzte er sich aktiv für die Gleichschaltung der evangelischen Kirche mit der nationalsozialistischen Ideologie ein.
Während seiner Zeit in Aurich erlangte Meyer den Ruf eines charismatischen Redners, der die Hitler-Ideologie mit dem Christentum zu verbinden suchte. Seine Schriften und öffentlichen Äußerungen, wie die Forderung „Für Juden ist kein Platz in Deutschland“, verdeutlichten seinen radikalen Standpunkt. Seine Rolle als kommissarischer Generalsuperintendent in Ostfriesland ab 1933 nutzte er, um die nationalsozialistische Kirchenpolitik durchzusetzen.
2. Rückkehr in den Kirchendienst in Gemen
Nach seiner Entlassung aus der hannoverschen Landeskirche und seinem vorübergehenden Engagement für rechtsextreme Parteien in den 1950er Jahren kehrte Heinrich Meyer 1961 in den kirchlichen Dienst zurück. Die Evangelische Kirche von Westfalen bot ihm eine Stelle als Hilfsprediger an, bevor er die Pfarrstelle in Gemen übernahm. Die Berichte aus dieser Zeit zeigen, wie Meyer in der Gemeinde wahrgenommen wurde:
• Willkommene Aufnahme in Gemen: Die Zeitungsartikel heben hervor, wie herzlich Heinrich Meyer in der Gemeinde empfangen wurde. Superintendent Brune führte ihn feierlich in sein Amt ein, und die Gemeinde feierte die Amtseinführung als besonderen Freudentag.
• Weihnachtsbotschaft und soziales Engagement: In einem Bericht über seine Erinnerungen an Weihnachten unter Zuchthäuslern betont Meyer die Bedeutung der Menschlichkeit und des christlichen Glaubens auch in schwierigen Zeiten. Diese Botschaft wurde von der Gemeinde positiv aufgenommen und trug zu seinem Ansehen bei.
3. Öffentliche Wahrnehmung und Gemeindearbeit
Die Berichte über Heinrich Meyer zeigen, dass er in Gemen als engagierter und charismatischer Pastor wahrgenommen wurde. Zu seinem 65. Geburtstag würdigte die Gemeinde seine „Herzensgüte“ und seinen Einsatz für die Jugend. Trotz seiner problematischen Vergangenheit schien es ihm gelungen zu sein, in seiner neuen Rolle Vertrauen aufzubauen und die Gemeinde zu inspirieren.
Ein besonders bemerkenswerter Aspekt ist, wie wenig seine Vergangenheit in den Zeitungsartikeln erwähnt wird. Stattdessen wird er als jemand dargestellt, der „mit neuem Leben“ in die Gemeinde kam und schwierige Situationen mit „Verhandlungsgeschick“ meisterte. Dies unterstreicht, wie bereit die Kirche und die Gesellschaft damals waren, belastete Biografien zu rehabilitieren, ohne die Vergangenheit ausreichend zu reflektieren.
4. Kontroverse Aspekte seiner Amtszeit
Heinrich Meyer war nicht nur eine engagierte Persönlichkeit, sondern auch eine umstrittene Figur. Die Herzlichkeit, mit der er in Gemen aufgenommen wurde, steht in starkem Kontrast zu seiner Rolle während der NS-Zeit und seinem späteren Engagement in rechtsextremen Parteien. Die Tatsache, dass er seine persönlichen Unterlagen vor seinem Tod vernichtete, deutet darauf hin, dass er bestimmte Aspekte seines Lebens bewusst verschleiern wollte.
5. Fazit: Ein ambivalentes Erbe
Heinrich Meyers Wirken in Gemen zeigt die Spannungen zwischen persönlicher Rehabilitierung und kollektiver Verantwortung. Seine Tätigkeit als Pastor und die positiven Erinnerungen der Gemeinde stehen im Schatten seiner Rolle im Nationalsozialismus. Die Berichte aus seiner Zeit in Gemen geben Einblick in die Nachkriegsgesellschaft, die einerseits einen Neuanfang suchte, andererseits aber oft zu wenig unternahm, um sich mit den Schatten der Vergangenheit auseinanderzusetzen.
Die Artikel aus der lokalen Presse dokumentieren ein Stück Geschichte, das nicht nur die Entwicklung eines Einzelnen, sondern auch die Haltung der Kirche und der Gesellschaft zur Vergangenheit widerspiegelt. Sie verdeutlichen, wie schwierig es ist, ein differenziertes Bild von Menschen mit solch gegensätzlichen Aspekten ihres Lebens zu zeichnen.